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Uns erreichte ein Brief von Wolfgang, der einige seiner Gedanken zu unserem Training und zur Kampf- und Bewegungskunst Armadong Kali aufgeschrieben hat.
Wolfgang ist seit 6 Monaten beim Kali Training in Reutlingen dabei. Da sein Brief einige sehr interessante Impressionen und Denkanstöße enthält veröffentlichen wir ihn gerne und bedanken uns bei Wolfgang und Uli für ihr Einverständnis.

Der Brief von Wolfgang:

Grüß Dich Uli,

Wenn ich Dich im Training vor ein paar Wochen richtig verstanden habe, hast Du Folgendes als Grundsätze des Kali in die Runde geworfen und gemeint, dass Du, falls Interesse besteht, Dich auch gerne darüber austauschen würdest und man Dir bei Bedarf schreiben solle. Bei mir besteht da tatsächlich großes Interesse.

Meines Erachtens sagtest du sinngemäß:

  1. Verfolge dein Ziel

  2. Tu alles, was dir sinnvoll erscheint, um dieses Ziel zu erreichen

  3. Verfolge Punkt 1

Ich habe mich jetzt eine Weile mit Obigem beschäftigt und endlich auch mal Zeit gefunden darauf einzugehen. Grundsätzlich hörte sich dieses Konzept erstmal sehr einfach und runtergebrochen für mich an und ich wusste nicht genau, was ich damit anfangen sollte, da ich den Aspekt der Moral dort nicht wiederfinden konnte. Im zweiten Denkschritt habe ich mir überlegt, in welchen Kontext diese Aussagen zu setzen sind. 

Als erstes dachte ich an Kampfkünste, und dass diese einen Kanon an Etiketten und Verhaltenskodexen transportieren. Gleichzeitig werden Wege der Selbstverwirklichung und Selbstkontrolle eingeflochten (Zen). Zeit verschaffen sich diese Systeme, indem sie Graduierungsmechaniken und Prüfungssysteme etablieren. So werden bestimmte Dinge erst gegen Ende solcher Lernprozesse gelehrt und die Lernenden haben Zeit zu reifen und die Trainer/Meister/Anleiter können, auch aufgrund ihrer erhöhten Stellung, korrigierend einschreiten. Außerdem sind Kampfkünste eher kampf- und nicht zielorientiert. Ästhetische Momente stehen im Vordergrund.

Im Kampfsport dagegen agieren die Akteure in einem Regelsystem, das den Rahmen vorgibt. Gleichzeitig umgibt den Kampfsport ein gesellschaftlicher Rahmen, der nach Adäquatheit und wettkampforientiertem Leistungsvergleich verlangt. Aktionen werden deshalb so wirksam wie möglich ausgeführt, aber eben noch im Rahmen des Legalen, oder so, dass sie nicht geahndet/geächtet werden. 

Ich glaube in beiden Kategorien ist Kali, so wie ich es bei Dir kennen gelernt habe, nicht einzuordnen. Es teilt Aspekte mit Beidem, wird auch daran angelehnt von Trainierenden praktiziert. Zudem wird aber auch in Deinem Training auf das Thema Selbstschutz eingegangen, und zwar in unterschiedlichen Bereichen: z.B. Finten, Tarnung, Raumausnutzung, Kommunikation, Wahrnehmung, Physis etc.. Alles, was dazu gelehrt wird, kann mit anderer Zielorientierung eingesetzt werden. Das Wissen, das für den Bereich Schutz gilt, ist eben auch gegen einen Nichtagressor einsetzbar. Auch werden Waffenkenntnisse gelehrt, die sich aber nicht an Symbolen (das Schwert, das Messer, der Stock) aufhängen. Sondern alles, was einen Vorteil bringt, wird als Waffe definiert.  Mit relativ wenig Training werden viele Alltagsutensilien kämpferisch anwendbar. Auch ist das System offen und bedient sich allem, was nützlich erscheint. Es wird nach Methoden für die praktische Anwendung gesucht, deshalb ist Kali vermutlich auch als Polizei- und Militärsystem interessant. Kontext dieser Systeme ist allerdings immer eine Befehlskette.

Und nun zurück zu den drei Grundsätzen des Kali. Vorher beschriebene Abweichungen von anderen Kampfkünsten und Kampfsportarten lassen mich zu dem Schluss kommen, dass der Kontext, in dem Kali trainiert wird, immer vom Zusammenspiel von Trainierendem und Trainer abhängt. Im Gegensatz zu anderen Systemen scheint mir Kali, so wie du es anleitest, ein sehr persönliches zu sein, da die Persönlichkeit des Trainierenden den Rahmen/Kontext für die drei Grundsätze des Kali vorgibt. -Neu an diesem Gedanken ist für mich, dass nicht nur die Körperlichkeit die Grenzen in diesem System setzt.- Hier kommt auch wieder der Aspekt der Moral und der Werte ins Spiel. Ziele können nämlich nur innerhalb des persönlichen Wertekanons bestimmt werden. Auch das, was sinnvoll erscheint, ist nur auf der Basis der eigenen Persönlichkeit möglich. Den dritten Grundsatz verstehe ich so, dass er zur Überprüfung des Ersteren dient und davor schützen soll, sich im “sinnvoll erscheinenden Tun“ zu verzetteln. Jetzt meinte ich, dass der Kontext auch vom Trainer abhängt. Dieser hat die schwierige Aufgabe zu entscheiden, welches Wissen auf welche Art und Weise weitergegeben wird und in wieweit eine Persönlichkeit reif ist, sich an bestimmten Inhalten abzuarbeiten. Vor allem innerhalb einer freiheitlich orientierten Zivilgesellschaft. Ist es Sport, Kunst, oder aber die praktische Anwendung, die fasziniert. Und wenn ja, warum und welche Mischung ist vertretbar? Dies zu überprüfen, und sich dabei selbst immer wieder zu hinterfragen, halte ich für die hohe Kunst und die Meisterschaft in der Lehre. Denn da das System offen und “anwenderfreundlich“ ist, liegt die gesamte Verantwortung bei Lehrer und Schüler selbst.

Wolfgang

Bin gespannt, wie du das siehst, falls du Zeit und Lust hast zu antworten.

Hoffe du bist fit und gesund.

Liebe Grüße

Wolfgang


Uli kündigte an, er werde in einem seiner nächsten Blogposts auf das Thema eingehen.
Die Antwort ist als Videoblog erschienen:

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