Pekiti Tirsia Kali im Karate-Budo Journal (1996)
Veröffentlicht im Karate-Budo Journal, Ausgabe 07/1996
Das Karate-Budo Journal war über viele Jahre das bedeutendste deutschsprachige Kampfkunst-Magazin und prägte die Szene weit über Deutschland hinaus. In dieser Ausgabe von 1996 erscheint ein ausführlicher Bericht über das Familiensystem Pekiti Tirsia Kali, die Tortal-Familie und die legendären „Secret Mountains“ von Negros Occidental – jenem Ursprungsort, an dem bis heute ein besonders ursprüngliches und kampferprobtes Kali praktiziert wird.
Der Artikel markiert zugleich einen wichtigen Moment für die Entwicklung von Pekiti Tirsia Kali in Deutschland: In dieser Zeit wurden Uli und Achim Weidle von den Grand Tuhons Jerson „Nene“ Tortal und Leo T. Gaje jr. in den inneren Kreis der Familie aufgenommen und beauftragt, das System authentisch nach Europa zu bringen. Der Bericht zeigt damit nicht nur die historischen Wurzeln des Pekiti Tirsia, sondern auch die frühen Anfänge dessen, was später zu Pekiti Tirsia Kali Germany wurde.
Die hier gezeigten Magazinseiten stammen aus dem Karate-Budo Journal, Juli 1996. Für bessere Lesbarkeit am Bildschirm findest du weiter unten das Transkript des deutschen Originaltextes.
Originalartikel (Magazin-Scans)
Transkript des Artikels
Kampfkunst aus den „Secret Mountains“
Pekiti Tirsia Kali
– Das Familiensystem der Tortal-Familie
Kaum ein philippinisches Kampfkunstsystem ist so bekannt und dennoch so schwer authentisch zu erlernen wie das Pekiti Tirsia Kali, das Familiensystem der Tortal-Familie.
Die Wurzeln der Familie Tortal lassen sich zurückverfolgen bis zu den Kämpfern des mitten in Negros Occidental gelegenen Berges Salvador de Benedicto, dem legendenumwobenen „Secret Mountain“. Dieser Berg war das Rückzugsgebiet einer Gemeinschaft von Widerstandskämpfern, die aufgrund ihrer überlegenen Kampfkunst und Taktik unbesiegt blieben. Noch heute wird in dem Berggebiet um Salvador de Benedicto das Kali als Garant für den Fortbestand der philippinischen Kultur hoch geschätzt und ein sehr ursprüngliches Kali praktiziert.
Speed und Power
Schon der Name beschreibt Pekiti Tirsia als hocheffektives Nahkampfsystem. Als solches beschäftigt sich Pekiti Tirsia mit allen Kampfdistanzen, die bewältigt werden müssen, um einen Angreifer zu bezwingen.
Im Pekiti Tirsia Kali wird für den Ernstkampf gegen mehrere und bewaffnete Gegner trainiert. Hierzu verwendet das System seine Schrittarbeit – es gibt allein zwölf Basiskategorien der Schrittarbeit für Distanzkontrolle und speziell für den Kurzdistanzkampf. Der praktischen Erfahrung aus dem Ernstkampf folgend kennt Pekiti Tirsia Kali keine statischen Stellungen oder Blocks. Bewegung und Fluss bewirken die Überlegenheit in den wesentlichen Variablen eines Kampfes: „Speed, Power, Timing und Position“.
Das vorherrschende Kampfprinzip ist der Counterattack.
Die Grundlage des Pekiti-Tirsia-Kampfsystems ist der Gebrauch von „edged“- und „impact“-weapons, also von Hieb-, Schnitt- und Stichwaffen. Das Unterrichtsprogramm des Pekiti Tirsia Systems beinhaltet die Hauptkategorien Daga und Daga y Daga (Messer und Doppelmesser), Espada y Daga (Schwert und Messer – Rapier und Parierdolch), Baston (Stock), Double Baston (Doppelstock) und mano-mano (waffenloser Kampf).
Charakteristisch für Pekiti Tirsia sind ausgeklügelte Körpermanipulationen (Takedowns, Smashdowns, Grappling), für die es lange bewährte Übungssysteme und Drills gibt. Ein weiteres Merkmal des Systems ist der bevorzugte Gebrauch der offenen Hand für das Parieren oder auch zum Manipulieren und Ausschalten des Gegners. Die wohl am häufigsten in andere Systeme übernommene Besonderheit des Pekiti Tirsia Kali ist das Knife-Trapping, das im Pekiti Tirsia verwendete System zum waffenlosen Kampf gegen Messer bzw. Messer gegen Messer. Pekiti Tirsia ist ein Kampfsystem, dessen einzelne Komponenten sinnvoll ineinandergreifen und das seine maximale Wirkung als Ganzes erzeugt.
Von Anfang an wird dem Pekiti-Tirsia-Übenden ein gut funktionierendes Verteidigungssystem in die Hand gegeben. Aufbauend auf den mit den „64 Strikes“ des Pekiti Tirsia gelegten Grundlagen werden im System weiterführende Techniken und Prinzipien mit den Übungssystemen der Seguidas, Contradas und Recontradas unterrichtet.
Aus dem umfassenden Pekiti Tirsia Kali wurden auch Subsysteme entwickelt, wie beispielsweise das in den USA von vielen Polizeibehörden bevorzugte „Safety Baton“ (Strategien und Taktiken für Polizei- bzw. Sicherheitsdienste) und das „Quantum Combat Speed Shooting“ (Handfeuerwaffen). Alle diese Systeme folgen denselben Basisprinzipien – denen des Kampfes mit der Klinge.
Repräsentiert wird das Pekiti Tirsia Kali heute durch die beiden Grand Tuhons (Familienvorstände) Jerson „Nene“ Tortal und Leo Tortal Gaje jr..
Grand Tuhon Jerson „Nene“ Tortal
Jerson „Nene“ Tortal ist der ältere der Grand Tuhons des Pekiti Tirsia Kali. Er ist der Sohn von Balbino Tortal und Onkel von Leo T. Gaje jr. Seine Spezialität sind Konter- und Gegenkonter-Techniken sowie „split-second disarms“ gegen bewaffnete Angriffe aller Art (Messer und Handfeuerwaffen). Erstaunlich ist die Power und die Geschwindigkeit, die der äußerlich so ruhige Mann im Kampf entwickelt.
Jerson „Nene“ Tortal ist unter anderem Präsident der Bacolod Negros Occidental Kali Federation und war und ist maßgeblich an der Verbreitung und Förderung des Kali in den letzten 35 Jahren beteiligt. Als junger Mann reiste „Nene“ durch die Philippinen und bestritt seinen Lebensunterhalt durch Preiskämpfe. Reich wurde er dadurch nicht, aber er kam herum und sammelte viele Erfahrungen.
Heute ist der Sechzigjährige ein gefragter Instructor für Militär- und Polizeieinheiten sowie private Sicherheitsdienste. Er findet aber immer Zeit, in die Berge zu seinen Wurzeln zurückzukehren, wo er mit den Kali-Kriegern der verschiedenen Gruppen – wie z. B. den Bato Balani („hardest stone“) und den Pulahans („red people“ – Feuergeher) – Kampfkunst praktiziert. Wer einmal mit ihm persönlich trainiert hat, lernt den authentischen Geist des Kali kennen.
Grand Tuhon Leo T. Gaje jr. – die elementare Kraft
Eine lebende Legende in Kampfkunstkreisen ist Grand Tuhon Leo T. Gaje jr., der Enkel von Conrado B. Tortal. Grand Tuhon Gaje ging 1972 im Auftrag hoher Regierungskreise in die USA, um die philippinische Kampfkunst und Kultur zu verbreiten. So war er auch der Kali-Lehrer von Dan Inosanto und Edgar Sulite; auch Eric Knaus – bekannt als Gründer und „Top Dog“ der Dog Brothers – zählte zu seinen Schülern.
Sicherlich ist der Erfolg des Pekiti-Tirsia-Systems vor allem der elementaren Kraft dieses Mannes zuzuschreiben. Seine Art zu unterrichten und zu trainieren, ist unvergleichlich. Leo Tortal Gaje jr. lebt Pekiti Tirsia Kali.
Auf die Frage hin, warum es denn über Pekiti Tirsia Kali kein Buch gibt, pflegt er zu sagen: „ Ich bin das Buch – nur ich kann Pekiti Tirsia beschreiben und weitergeben. “ Bezeichnend ist, dass er die Kampfkunst nicht zu seinem Beruf gemacht hat. Seine Tätigkeit im internationalen Investmentbanking bringt ihn jedoch in der ganzen Welt herum, und er findet immer Zeit zu praktizieren und als Botschafter des Kali und der philippinischen Kultur zu wirken.
„Pekiti Kali ist in meinem Blut, das ich von meinen Vorfahren geerbt habe“, sagt Gaje – und man glaubt in seinem Wesen und seinen Zügen die Kraft der Warrior-Datus vom Berg Salvador de Benedicto zu spüren.
Pekiti Tirsia Kali Germany
Auf Empfehlung des Pekiti Tirsia Kali und Sina Tirsia Wali Kali-Silat-Meisters P. Greg Alland, einem langjährigen Freund und Schüler von Grand Tuhon Leo T. Gaje jr., wurden Achim und Uli Weidle aus Reutlingen in den Pekiti-Tirsia-Zirkel eingeführt und von den beiden Grand Tuhons als persönliche Schüler angenommen sowie als Kaliman ausgezeichnet.
Grand Tuhon Jerson „Nene“ Tortal und Grand Tuhon Leo T. Gaje jr. beauftragten die beiden Deutschen, in ihrem Namen Pekiti Tirsia Kali Germany zu gründen und bei der Verbreitung authentischer philippinischer Kampfkunst und Tradition mitzuwirken.
Im Oktober wollen übrigens beide Grand Tuhons nach Deutschland kommen und Seminare geben.