Reisebericht Philippinen 2018
von Tuhon Emeritus Uli Weidle
Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung: Fast zwanzig Jahre lang war es für mich normal zweimal im Jahr zu meinem Kali Trainer auf die Philippinen zu fliegen. Mit schulpflichtigen Kindern hat sich vieles geändert: Eine Reise auf die Philippinen ist wieder zu einem besonderen Erlebnis geworden. Während der letzten Sommerferien war es dann wieder soweit: Reiseziel Manila, Philippinen!
Buy Bust – The “Pekiti Tirsia Kali” Movie
Schnell sprach es sich herum, dass ich wieder in den Philippinen war. Viele Freunde und Bekannte aus der Kampfkunstszene wünschten sich ein Treffen. Gleich am Tag nach unserer Ankunft wurden meine Familie und ich zur Blockpremiere des Kinofilms “Buybust” eingeladen. Anwesend war fast die ganze Pekiti Tirsia High Society aus Manila. Auch Schauspieler und Filmemacher waren gekommen. Meine alten Freunde, Tuhon Mick und Tuhon Jay, hatten die Stars für ihre Actionszenen trainiert und Tuhon Mick ist in dem Film in einer Nebenrolle zu sehen. Vor dem Film war es ein großes 'Hallo' und natürlich wurden viele Fotos gemacht.
Der Film mit den philippinischen Filmstars Anne Curtis und Brandon Vera in den Hauptrollen spricht mit Korruption und dem Verhältnis zwischen Zivilbevölkerung, Drogenbarone, Polizei und Politik brisante Themen aus dem Bereich des in den Philippinen propagierten "Krieg" gegen Drogen an. Doch in erster Linie ist der Film ein Actionfilm mit wenig Handlung, viel Blut und reichlich Kali Techniken. Der Film wurde unter anderem als 'Zombiefilm ohne Zombies' beschrieben.
In den letzten Jahren waren Kali Techniken recht häufig in den Action-Szenen namhafter Kinofilme zu sehen. Allerdings wurde nur selten explizit auf den Ursprung der Techniken hingewiesen. Die philippinische Kampfkunstszene erhofft sich von Buy Bust einen Push für die philippinische Filmindustrie und auch die längst fällige öffentliche Anerkennung für die philippinische Kampfkunst in der Filmindustrie. Der Film lief auf Filmfestivals in den USA und Kanda. Es hieß, der Film wäre bald auch bei Netflix zu sehen. Die Zeit wird zeigen, ob der Film mit der Starbesetzung und viel philippinischer Kali Kampfkunst auch außerhalb der Kampfkunstszene der erwartete Blockbuster wird.
Kali Training: Jamming mit Tuhon Jay
Natürlich standen auch Kali Trainingseinheiten auf dem Programm. Im JCI Corporate Center in Cubao trifft sich Mittwochs die Kali Katipunan Gruppe (Pekiti Tirsia) von Tuhon Mick und Tuhon Jay. Obwohl der Trainingsort nur etwa 25 km von meinem Aufenthaltsort in Manila entfernt ist, bedeutete dies bei dem extrem dichten Verkehr in Manila, dass die Anfahrt fast drei Stunden dauerte. Dabei traf mich Tuhon Jay freundlicherweise auf halbem Weg im Powerplant Mall und fuhr mich in seinem Auto zum Trainingsort in Cubao. Dort angekommen gab es ein Wiedersehen mit vielen alten Bekannten und auch viele neue Gesichter zum Kennenlernen.
Vor dem Training wurde mir von Likha Maharlika ein Set wunderschöner, handgemachter Maharlika Trainingsmesser überreicht. Die Messer sind mit Baybayin Schriftzeichen für respect, care, inner self, hospitality, good sense, memory, gratitude & forgiveness versehen.
Ich wurde gebeten das Training zu leiten, was ich dann auch tat. Dabei wechselte ich mich mit Tuhon Jay ab. Wie zu erwarten war es ein harmonisches Kali Jamming zweier Tuhons mit viel positiver Energie.
Besuch aus Deutschland: Thomas Müller
In der zweiten Woche meines Aufenthalts kam Thomas Müller aus Deutschland zu besuch. Thomas trainiert seit gut 20 Jahren Kali bei mir. Er trägt den Rang eines Maginoo Mandala in Pekiti Tirsia Kali und leitet die Kaligruppe in Osnabrück. Dass Thomas eine Woche mit meiner Familie und mir auf den Philippinen leben würde hatte sich erst kurz vor unserer Philippinenreise ergeben. Thomas erzählte, dass er zwar schon mehrfach an Trainingsurlauben auf den Philippinen teilgenommen hatte, doch anstatt eines abgesonderten Trainings auf einer abgelegenen Insel würde er gerne einmal das normale Trainings- und Familienleben auf den Philippinen erleben. Als ich ihm spontan die Möglichkeit dazu anbot, fackelte er nicht lange und entschloss sich, mich und meine Familie in den Philippinen zu besuchen.
Seine Anreise war abenteuerlich und als ich Thomas schließlich am internationalen Flughafen in Manila abholte, hatte er während der Fahrt zur Wohnung so einiges zu berichten. Wie wichtig für Thomas das Training ist, zeigte er, als er trotz strapaziöser Anreise und Jetlag gleich am ersten Morgen nach seiner Ankunft bereit war an meinem regelmäßigen morgendlichen Training teilzunehmen.
Kriegerprinzessin, Spiderman, Waffen & Sprengmittelräumroboter, Juego Todo Stockkampf und Messerturnier: die History Con
Das für den Nachmittag eingeplante Training bei einer Kali Gruppe in Manila fiel wegen Regen aus. Auf Vorschlag meiner philippinischen Freunde gingen wir stattdessen zu der an diesem Wochenende stattfindenden History Convention im Manila World Trade Center.
Die History Convention ist eine Art Messe für Film und Unterhaltung – und davon gab es jede Menge: Thomas und ich trafen den philippinischen Nationalhelden Lapu Lapu neben der legendären Kriegerprinzessin Urduha zusammen mit Wonderwoman und Spiderman. Thomas gönnte sich die Erfahrung in einem klassischen Barbershop einen Filipino Haircut zu bekommen. Auch Waffen gab es ohne Ende: in einer angeschlossenen Halle ließen sich alle Arten moderner Waffen, vom kleinen Armbandmesser oder Jagdbogen, bis hin zum Maschinengewehr oder ferngesteuerten IED-Räumroboter, nicht nur bestaunen, sondern auch anfassen und teilweise ausprobieren. Das alles war wirklich spannend, doch für uns war das wahre Highlight der H-Con, dass in die Veranstaltung auch die klassischen philippinischen Kampfkünste integriert waren. Neben Waffenständen bei denen allerlei Schutzkleidung, Trainingsgeräte und moderne wie ältere Klingenwaffen gekauft werden konnten, gab es auf der H-Con auch ein mehrtägiges Messerturnier, Juego Todo Kämpfe und philippinisches Show-Wrestling zu bestaunen.
Juego Todo – MMA mit Stöcken
Auf der H-Con präsentierte sich das moderne Juego Todo. Ein Versuch für die philippinischen Kampfkünste eine medienwirksame Wettkampfform zu finden, die Turniere für professionelle Athleten ermöglichen soll. Früher waren Juego Todo ('alles erlaubt') Matches duellartige Zweikämpfe in denen sich zwei FMA Kämpfer mit mehr oder weniger klar abgesprochenen Regeln gegeneinander stellten um herauszufinden welches der besser Kämpfer ist. Mitunter wurden solche Kämpfe auch als Death Matches bezeichnet. Die modernen Juego Todo Kämpfe finden in einem Käfig statt. Es wird in drei Runden mit unterschiedlichem Waffengattungen gekämpft. Die erste Runde ist Doppelstock, die zweite Einzelstock. Dabei sind Tritte erlaubt, ein Stockverlust wird wie ein Knockdown (Anzählen) im Boxen gewertet. Die Dritte Runde wird mit den Waffen des Körpers ausgetragen und folgt weitgehend dem MMA Regelwerk. Während in der dritten Runde nur leichte MMA Handschuhe getragen werden, werden in den ersten beiden Runden Helm und Schutzhandschuhe getragen. Anstatt Rattanwaffen oder gar Eisenholz, wie es früher zum Teil in den Juego Todo Matches üblich war, wurden gepolsterte Stöcke eingesetzt, was Kampftaktik und Kampfverlauf stark zuungunsten der Waffenexperten beeinflusste. Für die Sieger war ein ansehnliches Preisgeld ausgesetzt. Die Kämpfe wurden mit angemessener Härte und sehr fair geführt. Die Kämpfer verdienen definitiv Respekt für ihren Kampfgeist und die gezeigten Leistungen.
Mehrtägiges Messerturnier: Tuhon Mick als Schiedsrichter
Während der H-Con fand auch ein großes Messerturnier statt. Das Turnier erstreckte sich über drei Tage. Gewertet wurde durch drei Schiedsrichter mit einer elektronischen Trefferauswertung. Es wurden gepolsterte Messer verwendet und die Kämpfe wurden nach dem ersten Treffer zur Auswertung unterbrochen. Das Regelwerk bewirkte, dass es zum Teil verwegene Angriffstaktiken gab: beispielsweise Hechtsprünge zu den Beinen waren häufig zu beobachten. Tuhon Mick von Pekiti Tirsia Kali Katipunan war einer der Schiedsrichter und die Pekiti Tirsia Übenden aus Manila beteiligten sich an dem Turnier mit einer Vorführung.
In der folgenden Woche feierte Tuhon Mick seinen Geburtstag. Mandala Thomas und ich waren zu der Feier eingeladen. Es war uns eine besondere Ehre, dass wir gebeten wurden das Kali Training an diesem Abend zu leiten. Im Anschluß an das Training gab es eine Geburtstagsparty mit vielen philippinischen Leckereien.
Das Outreach Programm
Kali Kindergarten in Calauan, Laguna
Eine wichtige Station auf unserer Reise war ein Besuch bei einem Kindergarten in Calauan, Laguna (ca 100 km südwestlich von Manila), den wir mit Spenden unterstützen. Viele der dort lebenden Familien hatten durch den extrem zerstörerischen Taifun Yolanda/Haiyan im Jahre 2013 alles verloren und mußten nach Calauan umsiedeln. Gäbe es den Kindergarten nicht, könnte die Eltern der Kinder nicht arbeiten oder die älteren Geschwister könnten nicht zur Schule gehen. Unsere Unterstützung hilft bei der Bezahlung einer Lehrkraft, sowie bei den Betriebskosten und auch bei der Beschaffung von Bastelmaterial und Spielsachen. Der Kindergarten hilft den Familien wieder eine Zukunft aufzubauen. Der Besuch bei dem Kindergarten war auch für Thomas ein wichtiger Grund erneut auf die Philippinen zu reisen.
Arnis Gruppe der Sto Tomas Integrated High School
Als die Sportlehrer und die Schulleitung der Integrated High School in Sto Tomas hörten, dass Kali Experten aus Europa in der Nähe sein würden, wurden wir eingeladen die Sportgruppe und die Sportlehrer der Schule zu trainieren.
Arnis (Kali, Eskrima) ist seit 2009 per Gesetz die nationale Sportart und Kampfkunst der Philippinen. Es sollte an allen Highschools in der 7. Klasse unterrichtet werden. Leider sind die Sportlehrer an den Schulen oft nur wenig qualifiziert. Selbst an Trainingsstöcken mangelt es.
Der Einladung der Highschool kamen wir gerne nach. Schüler und Lehrkräfte waren an dem Training sehr interessiert und machten engagiert mit. Die Schulleitung war ebenfalls begeistert und bat um eine Wiederholung der Veranstaltung.
Das nächste mal werden wir sicher stellen, dass Stöcke in ausreichender Zahl vorhanden sind. Auch das Interesse an Armadong Kali Shirts war groß.
Zusammentreffen mit Arnis Veteran
Schon früh während unseres Kali Trainings für die Sto Tomas IHS fiel auf, dass ein paar Jugendliche durch ihr Können in der Kampfkunst weit aus der Gruppe herausragten. Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass dies Schüler des Arnis Veteranen Manong Amado waren. Manong Amado gesellte sich zu der Veranstaltung und beobachtete zunächst argwöhnisch und später mit Wohlwollen. Später erzählte er, dass er bereits in den 1960ern ein 'Blackbelter' in den Kampfkünsten war. Des Weiteren erzählte er, was Arnis für ihn bedeutet und wie er seine Fähigkeiten in Kämpfen unter Beweis stellen musste. Er unterrichtet seinen Schülern eine Mischung aus Arnis, Combat Judo (wie er die waffenlose Arnis Verteidigung nennt), Taekwondo und andere Kampfkünste. Weil seine Schüler im Vergleich mit den anderen Teilnehmern des Hochschulprogrammen weit fortgeschritten waren teilten Thomas und ich das praktische Training auf: Thomas unterrichtete die Lehrer und Schüler der Hochschule, während ich die Fortgeschrittenen der Gruppe separat unterrichtete.
Barangay Balisong
Bei unserer Reise nach Laguna konnten wir einen Abstecher in die Region Batangas machen und das Barangay Balisong besuchen. Von dort stammen ursprünglich die legendären philippinischen Schmetterlingsmesser (auch bekannt als butterfly knives). Noch heute gibt es in dem Barangay einige Schmiede mit Straßengeschäften, bei denen Gebrauchsklingen aller Art und natürlich auch die legendären Schmetterlingsmesser bestaunt und gekauft werden können. Für FMA Interessierte immer einen Besuch wert!
Manong Olavides
Auch ein Besuch bei Manong Olavides lag Thomas sehr am Herzen. Manong Olavides ist einer der wenigen Meisterschüler von der für seine dokumentierten Duellkämpfe bekannten FMA Legende Jose D. Caballero, dem Großmeister des Uno Dos Tres De Campo Systems. Manong Olavides sucht keine Öffentlichkeit und ist sehr wählerisch, wen er unterrichten möchte. Ich kenne Manong Olavides seit nunmehr 14 Jahren, trotzdem ist es nicht leicht einen Termin für Thomas und mich auszumachen. Als wir schließlich in Manong Olavides Haus sind bekommen wir einen tiefen Einblick in die Denkweise und das Leben eines Meisters der philippinischen Kampfkünste. Erleuchtend und inspirierend zugleich! Für mich persönlich am eindrucksvollsten war seine Beschreibung von Jose D Caballero als verständnisvoller, väterlicher Lehrer, der so genau über den Übungsstand seiner einzelnen Schüler orientiert war, dass er stets wusste wann sie zwischen den Trainingseinheiten trainiert hatten und wann nicht.
Fazit
Es gab reichlich Gelegenheiten sich mit alten und neuen Freunden zu treffen und über die philippinische Kampfkunst speziell, sowie die philippinische Kultur und Lebensweise im allgemeinen auszutauschen. In unserem Verein machen wir interessierten Menschen im Westen die positiven Aspekte der philippinische Kampfkunst und Lebensweise zugänglich, und wir sorgen auch dafür, dass die Filipinos in ihrem Heimatland unsere Anerkennung spüren und davon profitieren. Bei dieser Reise besonders Interessant waren für mich persönlich die Erzählungen von der Uroma meiner Frau. Sie erzählte von ihrem Vater, der den berüchtigten Death March im zweiten Weltkrieg überlebte und später auf Grund seiner guten Polizeiarbeit ein Chief Investigator der philippinischen Polizei wurde. Sie erzählte wie der Urgroßvater eine Arnis und Combat Judo Schule führte, wie sie ihm bei der Schule half und wie ihr Vater für seine Fertigkeiten geachtet war. Auch ihr Sohn, der Vater meiner Frau war ein geachteter Arnisador und Karatemeister. Für die Zukunft habe ich mir vorgenommen die Geschichte meiner philippinischen Familie genauer zu studieren. Für meine Familie und mich kann ich sagen: wir alle hatten eine schöne und lehrreiche Zeit auf den Philippinen und freuen uns auf unsere nächste Reise in die Heimat der philippinischen Kampfkunst.